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Das verqueere Begehren
Sind zwei Geschlechter genug?

Christa Spannbauer

Kart.; 156 S., Aufl. 1999
Buch 9783980567756; € 9,90 (D)


Einzelexemplare noch über den Verlag erhältlich

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Nicht der Unterschied der Geschlechter, sondern vielmehr wie dieser erzeugt wird, steht im Mittelpunkt der neuen Geschlechterforschung, die alles in Frage stellt, was wir bisher über Männer und Frauen zu wissen glaubten. Erstaunliche Erkenntnisse über die Vielfalt der Geschlechter und wie sie gemacht werden, liefern dabei die ethnologischen und historischen Studien. Denn die heute selbstverständliche Vorstellung von zwei biologisch verschiedenen Geschlechtern zeigt sich als sehr junges Phänomen. Bis ins 18. Jahrhundert hatte es als Allerweltsweisheit gegolten, dass Frauen und Männer über die gleichen Genitalien verfügen, nur einmal nach außen, und einmal nach innen gerichtet. "Wend’ das der Frau nach draußen, nach drinnen gleichsam, und gefaltet zweimal das des Mannes, und finden wirst du gänzlich Gleiches bei den beiden." (Galen von Pergamon, 130-200).


 
  Die für uns heute als selbstverständlich und natürlich geltende Vorstellung von zwei biologisch verschiedenen Geschlechtern zeigt sich aus historischer Sicht als ein sehr junges Phänomen, das erst im 18. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Bürgertums entwickelt und durchgesetzt wurde. Bis dahin hatte es über Jahrtausende hinweg als Allerweltsweisheit gegolten, dass Frauen und Männer über die gleichen Genitalien verfügten, nur einmal nach außen und einmal nach innen gestülpt. Von dem Historiker Thomas Laqueur, der sich in seiner Studie Auf den Leib geschrieben der Rekonstruktion anatomisch-philosophischer Geschlechterentwürfe von der Antike bis zur Moderne widmete, wurde diese Sichtweise als das Ein-Geschlechter-Modell benannt. Diesem Modell zufolge gab es nur ein anatomisches Geschlecht, dessen perfektes Exemplar nach der Geburt als männlich und dessen weniger vollkommenes Exemplar als weiblich eingestuft wurde. Gemäß der bis ins 18. Jahrhundert geltenden Lehre von Aristoteles, derzufolge die Stufen der menschlichen Entwicklung vom Kind über die Frau zum erwachsenen Mann führten, wurde der Mann als das Maß des Menschen erachtet.

Die Annahme von einer grundsätzlichen Ähnlichkeit, wenn auch unterschiedlichen Vollkommenheit von Frau und Mann, spiegelte sich in der Betrachtungsweise der geschlechtlichen Körper wider. Frauen galten als nach innen gekehrte und somit unvollkommene Männer. dieser Denkweise wurde die Vagina als der innere Penis der Frau, Uterus als Hodensack und die Eierstöcke als weibliche Hoden wahrgenommen. Die führenden Mediziner und Anatome von der Antike bis zur Renaissance bestätigten die Annahme von einem weiblichen Penis, dessen Existenz in vielen Anatomiebüchern zeichnerisch niedergelegt wurde. Selbst als im 16. Jahrhundert das Sezieren von Leichen einsetzte, vermochte die Wissenschaft, zutiefst geprägt vom Weltbild ihrer Zeit, nur das im Inneren der Körper zu sehen, was seit Jahrtausenden als bereits bekannt galt. An dem Wissensstand, der gemäß der Lehre von Aristoteles und Galen von einem einzigen Leib ausging, dessen vollkommene Variante der männliche Körper darstellte, änderte sich nichts. Die Ursachen für die Perfektion des männlichen Körpers wurde von Galen in der größeren Hitze des männlichen Körpers erblickt:Nun, gerade so wie die Menschheit das Vollkommenste unter allen Tieren ist, so ist innerhalb der Menschheit der Mann vollkommener als die Frau, und der Grund für seine Vollkommenheit liegt an seinem Mehr an Hitze, denn Hitze ist der Natur wichtigstes Werkzeug.


Die Hysterisierung des weiblichen Körpers

Auch werden wir hier, wie überall in Anschlag zu bringen haben, daß die Natur dem Weibe ein Organ der Krisen gegeben hat, was dem Manne fehlt.

Das 19. Jahrhundert stand im Zeichen des Aufstiegs eines Organs, das nun zur Quintessenz der weiblichen Existenz und geradezu zum Synonym für das Frau-Sein erklärt wurde. Nur wegen des Eierstocks ist die Frau, was sie ist 40, behauptete der Arzt Achille Chereau und Rudolf Virchow merkte mit dem ihm eigenen Charme an: Alles, was wir an dem wahren Weibe Weibliches bewundern und verehren, ist nur eine Dependenz des Eierstocks.

Die Ovarien wurden zum Kristallisationskern einer weiblichen Psycho-Physiologie und zum zentralen Fokus der sich Mitte des 19. Jahrhunderts etablierenden Gynäkologie, die in der Folgezeit zur Sachverständigen in allen Frauenfragen avancieren und damit zur allgemeinen Wissenschaft vom Weibe aufsteigen sollte. In der Folgezeit wurden alle physischen und psychischen Probleme der Frau in den Ovarien verortet, die zugleich auch zum Sitz einer weiblichen Hysterie erklärt wurden. Um den weiblichen »Verhaltensabweichungen« Herr zu werden, begannen Mediziner im 19. Jahrhundert mit der Entfernung gesunder Eierstöcke, einer Operation, die als die »Kastration des Weibes« benannt, gegen Ende des Jahrhunderts dramatisch zunehmen sollte. Gesunde Frauen wurden von der männlichen Medizin nicht nur körperlich verstümmelt, viele von ihnen fanden bei den aseptischen Operationsmethoden auch den Tod. Die Hysterisierung des weiblichen Körpers, die bereits im 18. Jahrhundert eingesetzt hatte, feierte damit im 19. Jahrhundert ihren schrecklichen Höhepunkt. Der Körper der Frau gilt fortan als von seinen unberechenbaren Reproduktionsorganen dominiert und wird grundlegend pathologisiert. reinlesen

Christa Spannbauer studierte Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt in Geschlechterforschung und feministischer Theorie. In ihren Arbeiten setzt sie sich insbesondere mit der Konstruktion von Männlichkeit und der aktuellen kritischen Männerforschung auseinander.